“Wenn ich nicht weiß, was ich tue, kann ich nicht tun, was ich
will”
BZ-INTERVIEW mit Feldenkrais-Pädagogin Agnes Kalbhenn über eingefahrene
Bewegungsabläufe, ein gutes Körpergefühl und ein verändertes Selbstbild
HEXENTAL. Das neue Jahr hat begonnen und
mancher hat sich vorgenommen, endlich einmal etwas gegen den
verspannten Nacken oder die eingerosteten Gelenke zu tun. Eine
Hilfe kann die Feldenkrais-Methode sein. Andrea Gallien sprach
mit Feldenkrais-Pädagogin Agnes Kalbhenn, die in mehreren Bildungseinrichtungen
tätig ist.
Agnes
Kalbhenn
(FOTO: GALLIEN)
BZ:Sie haben die Feldenkrais-Methode im Hexental bekannt
gemacht und haben dort offenbar richtige Fans.
Kalbhenn:Beim katholischen Bildungswerk in Bollschweil
und bei der Johannesgemeinde in Merzhausen betreue ich seit 15 und
16 Jahren Feldenkrais-Gruppen. Zu den Kursen kommen immer auch neue
Interessenten, einige sind schon von Anfang an dabei. Insgesamt
2400 Anmeldungen hatte ich in dieser Zeit in Merzhausen und Bollschweil.
BZ:Und diese Menschen kommen mit Schmerzen zu Ihnen und
erhoffen sich Linderung?
Kalbhenn:Ja, Muskel- und Skelettbeschwerden sind die
häufigste Ursache für Krankschreibungen. Ich habe Schüler im Alter
von Mitte dreißig bis über 90 Jahre. Häufig kommen Sie zunächst
wegen der Schmerzen. Aber sie bleiben dabei, weil es ihnen psychisch
viel besser geht, sie besser schlafen, weil sie mit ihrem Körper
bewusster umgehen und merken, dass es ihnen insgesamt gut tut.
BZ:Sie sprechen von Schülern und nicht von Patienten.
Kalbhenn: Feldenkrais ist eine Lernmethode, auf die man sich
einlassen muss. Ein gutes Körpergefühl beginnt mit der Wahrnehmung.
Ich versuche, mit meinen Schülern eingefahrene Bewegungsmuster zu
erkennen und durch kleine, leichte, ungewohnte Bewegungen den Muskeln
und Gelenken eine Chance zu geben, einen besseren Ablauf, einen
angenehmeren Platz zu finden, sich von den Anstrengungen zu erholen.
Ich vergleiche den Körper gerne mit einem Mobile. Wenn man es an
einer Stelle leicht antippt, hat das die Veränderung des gesamten
Gefüges zur Folge. Ziel der Übungen sind nicht mehr Kraft und Ausdauer,
sondern eine Verbesserung von Ökonomie und Qualität der Alltagsbewegungen.
BZ: Das klingt jetzt kompliziert.
Kalbhenn:Ist es aber nicht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:
Sich ökonomisch bewegen heißt, keine Kraft an einer Stelle des Körpers
zu vergeuden, die an anderer Stelle gebraucht oder besser genutzt
werden kann. Beim Treppensteigen heißt das etwa: nicht stampfen,
sondern leichtfüßig hochlaufen, beim Telefonieren den Hörer, der
nur ein paar Gramm wiegt, nicht fest umklammern, sondern locker
in der Hand halten.
BZ:Wie ein Mensch läuft oder telefoniert hat aber auch
etwas mit seiner Stimmung zu tun.
Kalbhenn: Genau. Und deshalb arbeitet man bei der
Feldenkrais-Methode nicht nur an Körperbewegungen, sondern letztlich
viel tiefer auch am Selbstbild des einzelnen. Jemand, der immer
oder oft Schmerzen hat, fühlt sich schlecht, fühlt sich alt. Ist
die Beweglichkeit verbessert, sind die Schmerzen durch ökonomischere
Bewegungen sogar gelindert oder weg, hat ein Mensch ein ganz anderes
Bild von sich, er fühlt sich frischer und freier und strahlt entsprechend
nach innen und außen eine ganz andere Stimmung aus. Gleiches gilt
für gestresste Menschen. Ich kann ihnen zwar den Stress nicht nehmen,
aber zeigen, wie man sich nach Stress schneller wieder erholt und
den Körper ausbalanciert.
BZ: Wer hat diese Feldenkrais-Methode entwickelt?
Kalbhenn:Die Methode wurde von dem Physiker und Verhaltensforscher
Moshé Feldenkrais entwickelt. Er hat einmal gesagt “Wenn ich nicht
weiß, was ich tue, kann ich nicht tun, was ich will” , das heißt
konkret: Wenn ich nicht weiß, wie sich meine Schmerzen “entwickeln”
, dann kann ich sie nicht ändern.
Info:Agnes Kalbhenn bietet Einführungen in die
Feldenkrais-Methode an am Mittwoch, 18. Januar, 19.30 bis 21 Uhr,
in der Johannesgemeinde Merzhausen, St.-Galler-Straße 10a, und am
Donnerstag, 19. Januar, 16.30 bis 18 Uhr, im Sängersaal der Möhlinhalle
in Bollschweil. Weitere Informationen unter Kalbhenn-Feldenkrais@t-online.de
oder 0761/405850
Badische Zeitung vom Freitag, 26. August 2005
“Kinder haben eine andere Vorstellung”
Mit Feldenkrais versucht Sybille Flach Kindern Wissen über den
eigenen Körper zu vermitteln
WALDKIRCH (BZ). Kurz nach elf Uhr rennen
sieben Kinder in den Turnraum des Kindergartens “Regenbogen”.
Die Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren versammeln sich
um ein am Boden liegendes Skelett, von dem nur die Wirbelsäule
zu sehen ist. Unter der Anleitung von Kindergärtnerin Sybille
Flach ertasten sie die Wirbel, zählen sie und lassen sich ihre
unterschiedlichsten Funktionen erklären. Erst jetzt wird die
Abdeckung entfernt und das ganze Skelett sichtbar.
Den menschlichen Körper kennen lernen und fühlen. (FOTO:
SYBILLE FROMM)
Sybille Flach zeigt auf den Ellenbogen. “Wer weiß noch, was
das ist”, fragt sie. Laut rufen die Kinder durcheinander bis die
richtige Antwort kommt. So entdecken die Kinder Knochen für Knochen
des Skeletts. Nicht immer kommt prompt die richtige Antwort, aber
spätestens nach ein paar Versuchen klappt es dann doch. Wer die Antwort
kannte, darf die passende Beschriftung anbringen.
Das Kennenlernen des Skeletts bildet nur den Anfang, um bei den Kindern
ein besseres Gefühl für ihren Körper hervorzurufen. Eigentlicher Sinn
des Zusammenkommens sind die Feldenkrais-Übungen, die Sybille Flach
mit den Kindern machen will. Doch vorher heißt es aufwärmen. Wild
rennen die Kleinen durch die Halle. Auf “drei”, so ist es abgesprochen
soll sich jedes auf eine der da liegenden Matten setzen.
Langsam bewegen sie den Kopf von rechts nach links, sie sollen sich
dabei vorstellen sie hätten einen Pinsel auf der Nase. “Merkt ihr
den Unterschied”, fragt Sybille Flach. “Ja” , schallt die
verlegene Antwort zurück. Konzentrationsübungen sollen den Kindern
das Gleichgewichtsgefühl vermitteln. Sie sollen nur mit den Händen
und den Knien den Boden berühren und diese Position halten. Unter
viel Gekichere kriegen die Kinder den Dreh raus, wirklich ruhig wird
es in einer Gruppe Kindern eben nie.
“Kinder haben eine andere Vorstellung von Ruhe”, erklärt Sybille
Flach. Die gelernte Kindergärtnerin mit Montessori-Diplom, hat, nachdem
sie selbst positive Erfahrungen mit der Feldenkrais-Methode erlebte,
eine zusätzliche Ausbildung in diesem Bereich absolviert. Neben Kursen
an der VHS, bietet sie nun einen Kurs für Kinder im Kindergarten Regenbogen,
an.
In jeder Stunde steht ein anderes Körperteil im Mittelpunkt. Neben
dem Wissen über den Aufbau des eigenen Körpers, vermitteln die Übungen
einen anderen Umgang mit selbigem. Die Kinder lernen sich anders zu
bewegen. Auch das Stehen wird in den Übungen geschult, denn auf die
Haltung kommt es an.
Alles läuft spielerisch. An anderen Kindern ertasten sie die Wirbel
oder Rippen. Und mit selbstgemalten Bildern, erstellt sich jedes Kind
ein Heft mit dem Titel: “Mein Körper und Skelett”. Kleine Schwierigkeiten
beim Malen des Körpers, wie die genaue Anzahl der Finger, stören da
nicht und sind schnell behoben.
Zitate:
Aus: „Bewusstheit durch Bewegung“ "Diese Lektionen haben den Zweck, Fähigkeit
zu erhöhen, d.h. die Grenzen dessen zu erweitern, was einem möglich
ist; ihm beizubringen, dass er auch könne, was er vermag; ihm das
Unmögliche möglich zu machen, das Schwierige leicht, das Leichte angenehm."
Moshe
Feldenkrais
"Um erkennen zu können, was richtig ist,
muss man das Falsche tun. Versucht also jetzt, jeden Fehler, den
ihr beobachtet habt, zu wiederholen."
Moshe Feldenkrais
"Wenn wir darauf acht geben, wie wir
mit uns selbst umgehen, dann brauchen wir nicht mehr darüber nachdenken,
wie wir sein sollten."
Moshe Feldenkrais
"Jetzt korrigieren wir alle Fehler, die
wir gesehen haben, nur dann findet ihr heraus, wie man es richtig
macht. Probiert zuerst alle Fehler aus, die die anderen gemacht
haben. Es ist viel lehrreicher, wenn man lernt, sich wie die anderen
Menschen zu bewegen, die es falsch machen, als es gleich richtig
zu machen.
Das Richtige wird noch richtiger, indem man allen überflüssigen
Ballast abschafft. Und wenn ihr das Falsche tun könnt, dann könnt
ihr auch das Richtige tun."
Moshe Feldenkrais
"Wir handeln dem Bild nach, das wir uns von uns
machen. Ich esse, gehe, spreche, denke, beobachte, liebe nach der
Art, wie ich mich empfinde."
Moshe
Feldenkrais